Wilhelm Hofmeister in der F.A.Z. über das Verhalten in Deutschland gegenüber dem katalanischen Separatismus. Katalonien und der Verfall der EU
Katalonien und der Verfall
der EU
Wilhelm Hofmeister in der
F.A.Z. über das Verhalten in Deutschland gegenüber dem katalanischen
Separatismus
10, Apr. 2018
Wenn zu Beginn des nächsten
Jahrhunderts Historiker den Verfall der Europäischen Union und der sich daran
anschließenden Konflikte auf dem Kontinent beschreiben, werden sie gewiss in
der Tradition von Thukydides nach den wahren Ursache (prophasis) und den unmittelbaren
Gründen (aitiai) für das neuerliche Desaster suchen. Es ist unschwer
vorauszusehen, dass das Verhalten in Deutschland gegenüber dem katalanischen
Separatismus als einer der Gründe (aitiai) für den Verfall der EU erkannt
werden wird.
Die Europäische Union fußt
unter anderem auf der Idee, dass sie eine Gemeinschaft freiheitlicher und
rechtsstaatlicher Demokratien ist. Diese Idee wird in Deutschland momentan
ernsthaft in Frage gestellt. Nicht nur durch den Spruch des Oberlandesgerichts
von Schleswig-Holstein, das die vorläufige Freilassung des Separatistenführers
Carles Puigdemont verfügte, sondern auch durch die Reaktion von Politikern und
Medien, die Spaniens Regierung und Justiz die Kompetenz absprechen, über die
Separatisten in angemessener rechtsstaatlicher Weise zu urteilen.
Das Oberlandesgericht hat
für seine Entscheidung Analogien zwischen Spanien und dem deutschen Bundesstaat
hergestellt. Das ist zwar einerseits verständlich, weil sich ein Gericht in
Deutschland nur an dem eigenen Umfeld orientieren kann; andererseits ist das
aber schon im Grundsatz falsch, weil Spanien kein föderaler Staat ist und die
Autonomen Gemeinschaften dort eine ganz andere Verfassungsstellung besitzen als
die deutschen Länder. Die Autonomierechte Kataloniens übersteigen in vielen
Bereichen die Kompetenzen der Bundesländer.
Auch gründet der spanische
Verfassungskonsens auf vollkommen anderen Erfahrungen als der in Deutschland.
Man mag ihn prekärer nennen - weshalb unter anderem die Verfahren zur Änderung
der Verfassung viel komplizierter und langwieriger sind als in Deutschland. Das
wurde von den spanischen Verfassungsvätern deshalb so vereinbart, um den vor 40
Jahren erzielten Konsens bei der Verabschiedung der Verfassung nicht
leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Offene Verstöße gegen die Verfassung, wie
sie von Carles Puigdemont begangen wurden, besitzen daher im nationalen Kontext
ein anderes Gewicht, als man es im hohen Norden Deutschlands wahrnimmt.
Anstatt sich auf die
Grundregeln des europäischen Haftbefehls zu konzentrieren und Puigdemont nach
Spanien zu überstellen, hat das Oberlandesgericht in kürzester Frist eine
qualifizierte Bewertung der Vorgänge um das illegale Referendum in Katalonien
am 1. Oktober 2017 vorgenommen, was nicht verlangt war und was seine
Kompetenzen deutlich überschreitet.
Die Beurteilung der Verstöße
gegen die Verfassung und gegen Gesetze durch Puigdemont und seine Regierung
sollte man den spanischen Gerichten überlassen. Die freiheitliche Demokratie
Spaniens erlaubt es nicht nur, dass Personen (Puigdemont und andere) bei Wahlen
kandidieren, obwohl sie sich der Justiz durch Flucht ins Ausland entziehen,
sondern es war ihnen auch möglich, ihr Mandat aus der Ferne anzunehmen und
sogar ihre Stimmen im Parlament zu delegieren (und zudem kassierten sie noch
ihre Diäten!). In Deutschland wäre das undenkbar. Es besteht daher kein Zweifel
daran, dass die angeklagten Separatisten in Spanien ein ordentliches
rechtsstaatliches Verfahren erhalten. Ihre Anwälte können die einzelnen
Anklagepunkte widerlegen, und das Gericht muss der Anklageschrift nicht folgen,
so wie das Gericht in Schleswig ja auch dem Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft auf einen Auslieferungshaftbefehl nicht folgte.
Gänzlich fatal ist der
Vorschlag einer Vermittlungsrolle der EU oder gar Deutschlands in dem Konflikt
zwischen der spanischen Regierung und den katalanischen Nationalisten. Man mag
bedauern, dass die spanische Regierung nicht mit mehr Nachdruck eine politische
Lösung der Krise anstrebte und zu sehr auf eine juristische Lösung setzte. Doch
Puigdemont jetzt durch eine Vermittlungsinitiative aufzuwerten, würde bedeuten,
dass er seinem Ziel einen weiteren Schritt näher kommt. Selbstverständlich wird
er alles versprechen, um die EU oder Deutschland in den Konflikt einzubeziehen.
Er wäre dann der Herr des Verfahrens und kann den Preis für ein Übereinkommen
unendlich in die Höhe treiben. Den katalanischen Nationalisten geht es nicht um
mehr Autonomie, sondern um Souveränität, das heißt die Abspaltung von Spanien
und einen eigenen Staat. Das kann und darf die Europäische Union nicht
vermitteln, will sie einen der Gründe für ihren künftigen Verfall vermeiden.
Dr. Wilhelm Hofmeister
leitet das Spanien-Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Madrid.
juanpardo15@gmail.com
https://blogdejuanpardo.blogspot.com.es/
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